Lena Christ

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Lena Christ (30.10.1881/30.6.1920), als lediges Kind der Hausschusterstochter Magdalena Pichler, damals Köchin auf Zinneberg, am 30. Oktober 1881 in Glonn geboren und mit dem selben Namen wie ihre Mutter beim Standesamt eingetragen. Der Schmiedgeselle Karl Christ aus Mönchsroth bei Dinkelsbühl bekennt sich zur Vaterschaft. Angeblich ist er dann auf der Überfahrt nach Amerika mit dem Schiff Cimbria untergegangen. Die erst jetzt wieder aufgefundene Passagierliste dieses Schiffes enthält nicht seinen Namen. 7 glückliche Kinderjahre verbringt das Lenerl bei seinen Großeltern in Glonn. Als die Mutter heiratet, holt sie das Dirndl nach München. Mißverständnis und Unglück beginnen. Die Eltern arbeiten sich als Wirtsleute empor; der Stiefvater Josef Isaak ist gut zum Lenerl. Die Mutter aber kommt zeitlebens aus einer Art Haßliebe nicht heraus. Das Warum läßt sich kaum mehr ergründen. Vielleicht ist auch Sorge um das nichtverstandene Kind im Spiel. Lena Christ ist zeitlebens zwiespältig in ihren Anlagen und inneren Bewegungen, unsicher in der Wertung ihrer Mitmenschen, unkritisch in ihren raschen Entschlüssen, heftig gegen Widerstände, entflammbar und verbrennbar zugleich. Nach schweren Ausschreitungen der Mutter gegenüber der Tochter darf das Lenerl 1892 auf ein Jahr nochmals nach Glonn.
Wenn das Lenerl aus dem Haus ist, holt sie die Mutter, vielleicht um des Ansehens willen immer wieder heim, so von Glonn, so später von Ursberg, wo die Lena, denkbar dafür ungeeignet, als Novizin sich versuchte und schließlich von der Gaststätte Floriansmühle in Freimann, welche die neunzehnjährig gewordene Leni als hübsche und beliebte Bedienerin gerne behalten hätte. Fast ohne eigenes Zutun läßt sich diese 1901 mit dem Buchhalter Anton Leix verehelichen. Dieser kommt später in finanzielle Schwierigkeiten und vor das Gericht.
Nach 8 Jahren Ehe trennt sich Lena von ihm, gerät in große Not, nimmt Schreibarbeiten an und wird durch den Schriftsteller Peter Jerusalem, der sich später Benedix nennt, zur Niederschrift ihrer Erinnerungen veranlaßt. Das Buch erscheint 1912. Deutlich, unreflektiert, schonungslos gegen ihre Mutter und gegen sich selbst, erzählt sie ihr Leben, und in einem bei uns damals kaum bekannten Naturalismus die menschliche und sexuelle Tragödie ihrer Ehe. In ihrem Manuskript ist kaum etwas korrigiert und doch ist kein Wort zu wenig und keines zu viel. Wie wenig erzählt sie z. B. von ihrem Großvater, ein paar Geschehnisse, ein paar Gespräche, aber schon steht ein warmes Menschenbild vor unseren Augen, und unser Herz schlägt dem guten brauchbaren Manne zu, der seine Hand und Liebe dem Lenerl leiht und ihm Rat und Wegweisung gibt. Sie heiratet 1912 Peter Jerusalem und schreibt ihre Glonner „Lausdirndlgeschichten“. Die Geschichten sind erlebt und drauf loserzählt; aber Thoma verübelt sie ihr; denn vorher sind seine „Lausbubengeschichten“ erschienen und diese waren in ihrer gemachten Naivität wirksamer gewesen.

Den Kriegsausbruch erlebt die Familie Jerusalem in Lindach bei Glonn, Kriegsanfang und Spionenfurcht sind in „Unsere Bayern anno14“ nach wirklichen Erlebnissen köstlich geschildert. Das Buch brachte den ersten wirtschaftlichen Erfolg („Die Erinnerungen einer Überflüssigen“ hatten nur die Kritik aufhorchen lassen). Der König lud sie an seinen Tisch, wo sie so unbefangen erzählte, daß die Prinzessinnen abwechselnd bleich und rot wurden. 1914 vollendet sie ihr innigstes Buch, und sie heißt es zu Ehren ihres Großvaters „Mathias Bichler“. Sie selbst nennt sich als Schriftstellerin Lena Christ; keines ihrer Bücher verdient diesen schönsten ihrer vielen Namen (Pichler, Leix, Jerusalem) mehr als dieses. In der Gestalt des Mathias Bichler, der ein Findelkind war, aber nach schweren Jahren sich zu einem angesehenen Bildschnitzer emporarbeitet, hat sich Lena selbst ins Männliche übersetzt. Mit unerhörter Sicherheit bedient sich die Dichterin eines Chronikenstils vom Ende des 18. Jahrhunderts. Die Erzählung von der „Rumplhanni“ schreibt sie großenteils in Lindach nieder. Das nicht sehr umfangreiche Buch wird geradezu eine klassische bäuerliche Dichtung. Die Geschichte spielt in den ersten Kriegsjahren. Schauplätze sind die Bauernlandschaft zwischen Glonn und, Aibling und die Stadt München. Die Hanni, die Magd, ist ein gar abgründiges, aber doch ein stichhaltiges Frauenzimmer, und darum weiß sie sich, vom Hofe verjagt und ins Gefängnis gekommen, endlich ins Leben zu finden, kann Schuld und Schicksal unterscheiden und vermag an der Seite eines Münchner Wirts ein sicheres und helleres Dasein zu gewinnen. Ein urwüchsigerer Dialog als der in der „Rumplhanni“ ist in baierischer Mundart nie geschrieben worden. Neben der Triologie ihrer großen Werke hat die Christ ein einziges ganz abgrundfernes, lockeres und heiteres Buch geschrieben, die „Madam Bäuerin“. Aber nun zerbrechen ihr Liebe und Leben. Peter Jerusalem rückt ins Feld. Lena ist wieder lungenkrank.
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Sie verliebt sich in einen jungen Sänger, den sie bei Lesungen in einem Lazarett kennengelernt hat. Er versteht nichts von dem Großen und dem Gefährlichen in dieser Frau. Er entzündet in ihr ein Feuer, aber kein erwärmendes, läuterndes, helfendes, sondern ein verzehrendes. In bedrängtester Lage begeht sie eine Torheit, die sie selber wohl am wenigsten begreift. Sie fürchtet nun für ihre Kinder die öffentliche Schande. Sie hat 1919 ihr Schicksal vorausgeahnt, als sie schrieb: „…daß sich das Glück allmählich von mir wenden wird, weiß ich bestimmt. Ich falle eben doch dem Schicksal anheim, welches mir meine Mutter (es war an Lenas Hochzeitstag im Jahre 1901 gewesen) gewünscht hat“

Ohne jede Hoffnung auf Hilfe ordnet sie ihren Abschied, fährt am Morgen des 30. Juni 1920 mit der Straßenbahn zum Harras, geht dann zu Fuß weiter, versöhnt sich gläubig-kindlich mit ihrem Herrgott und nimmt im Waldfriedhof an einem ihr vertrauten Grabhügel das tödliche Gift. Merkwürdige, vorher vereinbarte Zeichen nach ihrem Tode bestätigt Benedix in seinem Werk „Der Weg der Lena Christ“. „Zuletzt erhielt ich eine Bestätigung in einer Form, die so einwandfrei nur von ihr stammen konnte, daß br /> ich dadurch die absolute Bestätigung von einem persönlichen Fortleben nach dem Tode erhielt, bis ich eines Tages laut bat, wenn sie es wäre, möchte sie um der Kinder willen aufhören. Von dem Augenblick trat Ruhe ein.“ Josef Martin Bauer bekannte, daß er den Bericht von Benedix für äußerst glaubwürdig halte und daß die Lena nach ihrem Tode noch „Proben ihrer Macht“ gegeben habe. Über ihrem Grab rauschen die Bäume der Heimat und der Dornengekrönte sieht auf ihren Hügel, unter welchem auch ihre jüngste Tochter ruht, die ihr nachfolgte. Lena Christ, heute als eine der großen Dichterinnen Deutschlands anerkannt, hat viel Dunkel durchlitten, aber die Heimat hat sie reicher gemacht.)

 Werke u.a.:
•1912 Erinnerungen einer Überflüssigen
•1913 Lausdirndlgeschichten
•1914 Mathias Bichler
•1914 Unsere Bayern anno 14
•1915 Unsere Bayern anno 14/15
•1916 Die Rumplhanni
•1919 Bauern
•1919 Madam Bäuerin
Text: Wolfgang Koller